Titel
Wechselklänge. Die Bernische Musikgesellschaft 1960–2000. Festschrift zum 125-jährigen Bestehen des Berner Symphonie-Orchesters (1877– 2002)


Autor(en)
Fuhrimann, Daniel
Erschienen
Bern 2002: Stämpfli Verlag
Anzahl Seiten
227 S.
Preis
€ 34,60
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Jörg Müller

Schon Titel und Untertitel dieser wichtigen Publikation zum Berner Konzertleben verweisen auf den nicht ganz einfachen Zusammenhang zwischen Trägerschaft, Veranstalter und Klangkörper des Berner Symphonie-Orchesters (BSO): Zum Jubiläum des BSO erscheint die jüngste Geschichte der Bernischen Musikgesellschaft (BMG). Die Verhältnisse waren in der Tat vertrackt: Die 1815 gegründete Vereinigung zeichnete schon früh verantwortlich für die Pflege eines kontinuierlichen Konzertwesens, setzte jedoch mit dem Bernischen Orchesterverein (BOV) 1877 eine eigene Trägerschaft ein. Das Berner Stadtorchester wurde lange Zeit vom BOV verwaltet, die BMG fungierte primär als Veranstalterin sowie als Promotorin der bernischen Musikausbildung. Das bedeutete umständliche Entscheidungsprozesse und – etwa für Dirigenten – viele Ansprechpartner. Beredtes Zeugnis davon ist die Affäre Richter Anfang der 1960er-Jahre. Der von der BMG eigenmächtig als Chefdirigent engagierte Karl Richter zog sich noch vor Amtsbeginn vom Vertrag zurück, und das Verhältnis zwischen BMG und BOV entspannte sich erst mit der Verpflichtung Paul Kleckis, mit dem das Orchester einen gewaltigen Aufschwung erlebte. Doppelspurigkeiten gab es indes auch in der Zeit von Kleckis Nachfolger: Neben Charles Dutoit wirkte Günter Wand quasi als Hausdirigent der BMG; diese Dirigenten ergänzten sich aber repertoiremässig aufs Beste. Die fällige Fusion zwischen BOV und BMG gelang 1979, ehe im Zuge der Professionalisierung des Managements die Stiftung Berner Symphonie-Orchester gegründet wurde und die BMG fortan als reiner Förderverein fungierte.

Daniel Fuhrimann versteht es bestens, die vereinsgeschichtlichen und verwaltungstechnischen Rankünen klar und alles andere als trocken darzustellen. Der junge Musikwissenschaftler und Germanist konnte mit der nötigen Distanz recherchieren und hatte Zugang zu wichtigen Akten. Er ist stets um ein ausgewogenes Urteil bemüht, zum Beispiel was das chronisch schwierige Verhältnis zwischen Orchester und Stadttheater betrifft oder im Fall des Skandals um einen BMG-Geschäftsführer. Die Verfehlungen – vor allem Veruntreuungen in sechsstelliger Höhe – sind schonungslos dargelegt, aber auch Verdienste werden gewürdigt, wie die Verpflichtung des heutigen Chefdirigenten Dimitrij Kitajenko.

Die Publikation ist indes viel mehr als eine Vereinsgeschichte: Innerhalb des historischen Abrisses der BMG öffnet der Autor die Perspektive immer wieder hin zu künstlerischen Fragestellungen, welche im zweiten Teil auf die Programmpolitik fokussiert werden. Hier zeigt sich eine besondere Tradition im Bereich der Musik der Moderne, vor allem unter Dutoit und Kitajenko, aber auch international feststellbare Tendenzen wie die Repertoire-Erosion. Die Ära Maag mündete nicht zuletzt deshalb in eine Stagnation, weil die schwerpunktmässige Pflege von Musik vor 1800 nurmehr von Spezialensembles zu leisten ist. Sehr einleuchtend ist die Differenzierung zwischen Musik der Moderne und Neuer Musik, weil der Autor damit die Musik des 20. Jahrhunderts nicht über einen Leisten schlägt und die insgesamt stiefmütterliche Behandlung zeitgenössischer (und hier insbesondere Schweizer) Musik aufdeckt, aber auch zu grundsätzlichen Reflexionen über die Situation Neuer Musik im heutigen Konzertleben führt. In zehn Intermezzi erhalten Zeitzeugen aus Orchester, Verwaltung und Publikum die Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Publikation erhält dadurch eine breitere Optik; freilich wird auch klar, dass ansonsten etwas stark der Linie der einzelnen Dirigenten entlang argumentiert wird.

Aufschlussreiches ist aus Bereichen ausserhalb der Sinfoniekonzerte zu erfahren: über das Konservatorium, das bis 1988 unter der Ägide der BMG stand, und über die Kammermusikpflege, wodurch der Weltruhm des Berner Streichquartettes in den 1970er/80er-Jahren plausibel wird. Besonders spannend sind auch die Ausführungen über den Umgang während und nach dem Kalten Krieg mit Musik sowie Musikerinnen und Musikern aus Osteuropa. Ein ausführlicher Dokumentationsteil (unter anderem mit einer Liste sämtlicher Orchesterkonzerte der BMG), zahlreiche Illustrationen und ein Personenregister runden die sorgfältig edierte Publikation ab.

Zitierweise:
Jörg Müller: Rezension zu: Fuhrimann, Daniel: Wechselklänge. Die Bernische Musikgesellschaft 1960–2000. Festschrift zum 125-jährigen Bestehen des Berner Symphonie-Orchesters (1877– 2002), Bern, Stämpfli, 2002, 227 S., ill. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 64, Nr. 4, Bern 2002, S. 214f.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 64, Nr. 4, Bern 2002, S. 214f.

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